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Ein Wahrzeichen der Technikgeschichte

Ein charakteristisches technisches Baudenkmal erhebt sich südlich des Rosenheimer Bahnhofsgeländes: Das Kraftwerk der einstigen Kunstmühle. Es wurde 1923 – vor 90 Jahren – nach Plänen von Theodor Fischer und Carl Baumann fertiggestellt.

Das Kraftwerk heute von der Ostseite aus gesehen.

© Mair

Das Kraftwerk heute von der Ostseite aus gesehen.

VON STADTHEIMATPFLEGER KARL MAIR

Rosenheim – 1920 entschloss sich die Kunstmühle Rosenheim AG, ein Wasserkraftwerk südöstlich ihres Fabrikgeländes zu errichten. Das Kraftwerk sollte vom Wasser des sogenannten Wasserhofs gespeist werden. Der Wasserhof war der an dieser Stelle zu einem künstlichen See verbreiterte Mangfallkanal. Dieser Kanal war im Zuge des Salinenbaus im frühen 19. Jahrhundert für die Trift des zur Befeuerung der Saline benötigten Holzes angelegt worden.

Im Generatorenraum, Foto von 2008

© MairIm Generatorenraum, Foto von 2008
Mit der Planung des Kraftwerks beauftragte die Kunstmühle Theodor Fischer, damals Professor an der Technischen Hochschule München und einer der angesehensten süddeutschen Architekten. Fischer war ab 1897 als Leiter des Münchner Stadterweiterungsbüros bekannt geworden, wo er den sogenannten „malerischen Städtebau“ begründete. Er prägte maßgeblich die Bauentwicklung Münchens um 1900. Im Jahr 1898 erhielt Fischer übrigens auch vom Rosenheimer Magistrat den Auftrag, einen „Generalbaulinienplan“ für die Stadt zu erstellen. So gehen beispielsweise die gekrümmten Straßenverläufe im Viertel zwischen Friedhof und Haustätter Höhe auf Fischers Planungen zurück. Zu den architektonischen Hauptwerken Fischers gehören von über 100 ausgeführten Bauten unter anderem die Garnisonskirche in Ulm, die Universität Jena, das Landesmuseum in Kassel, das Rathaus in Worms und mehrere Schulen und öffentliche Gebäude in München.
Für das Kraftwerk der Rosenheimer Kunstmühle sah Fischer einen behäbigen Baukörper mit tief heruntergezogenem Schopfwalmdach vor. Die symmetrischen Fassaden, die Gliederungselemente und die Fensterformate waren einer historischen Architektursprache verpflichtet. Nach der Fertigstellung von Fischers Planentwurf übernahm der Rosenheimer Architekt Carl Baumann die weitere Ausarbeitung der Bau- und Detailplanung. Im November 1921 wurden die Pläne schließlich genehmigt, und 1922 konnte mit dem Bau des „Krafthauses“, wie das Kraftwerk damals bezeichnet wurde, begonnen werden. Für die Überbauung des Mangfallkanals waren konstruktiv aufwendige Arbeiten notwendig.

Kapitän Franz Romer vor seiner Atlantiküberquerung in einem Klepper-Faltboot, im Hintergrund das Kraftwerk, 1929.


© Mair (Repro)Kapitän Franz Romer vor seiner Atlantiküberquerung in einem Klepper-Faltboot, im Hintergrund das Kraftwerk, 1929.

Architekt Theodor Fischer, 1862 bis 1938.


© Mair (Repro)Architekt Theodor Fischer, 1862 bis 1938.
Als das Kraftwerk 1923 fertiggestellt wurde und die Stromerzeugung aufnahm, bezog die Rosenheimer Firma Klepper das geräumige Dachgeschoss des Bauwerks. Das Unternehmen stand damals gerade mit der Herstellung von Sportartikeln und Faltbooten am Beginn seines Expansionskurses. An die Nutzung der Räume durch Klepper war übrigens schon vor dem Bau des Kraftwerks – das belegen die ersten Pläne Theodor Fischers von 1920 – gedacht gewesen. Später ließ die Direktion der Kunstmühle für die Firma Klepper noch verschiedene Umbauten vornehmen, 1939 die großen Giebelfenster und 1954 einen Personenaufzug.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Klepper-Werke aber zusätzlich mit eigenen Gebäuden auf das nordwestlich des Kraftwerks gelegene Areal ausgebreitet. Der Wasserhof vor dem Kraftwerk erwies sich für die Klepper-Werke als ideales Testgelände für die Faltboote, die den einstigen Weltruf des Unternehmens begründeten. Auf dem Wasserhof entstanden auch die Fotos, die Kapitän Franz Romer Anfang 1929 vor seiner Atlantiküberquerung in einem Klepper-Faltboot zeigen. Romer erreichte damals nach mehrwöchiger Fahrt die Karibikinsel Saint Thomas; auf der Weiterfahrt nach New York ist er jedoch verschollen.

Der Strukturwandel der 1960er- und 1970er-Jahre brachte sowohl für die Rosenheimer Kunstmühle als auch für die Klepper-Werke tiefgreifende Veränderungen: Die Mühle stellte die Mehlproduktion 1974 ein; bis 1990 wurden hier nur noch Futtermittel hergestellt. Die Klepper-Werke verloren ihre einstige Marktposition; sie gaben auch die angemieteten Räume im Kraftwerk der Kunstmühle auf.

Die Obergeschosse des Kraftwerks dienten bald anderen Nutzungen. Eine Schule für asiatischen Kampfsport mietete 1986 einige Räume, und 1987 bezog der Rosenheimer Kunstverein das Dachgeschoss. Hier finden seitdem jährlich mehrere Kunstausstellungen statt; einige Räume des Dachgeschosses dienen regionalen Künstlern als Ateliers. Die historische Aufschrift „Kunstmühle“ auf dem Kraftwerk – ursprünglich war mit dem Begriff „Kunstmühle“ eine technisch hochentwickelte Mühle gemeint – bekam nun mit der Nutzung durch den Kunstverein eine doppelte Bedeutung.

In den 1990-er Jahren wurde der Grundbesitz der einstigen Rosenheimer Kunstmühle aufgeteilt und veräußert.

Faltboote auf dem „Wasserhof“, hinten das Kraftwerk der Kunstmühle um 1930.


© StadtarchivFaltboote auf dem „Wasserhof“, hinten das Kraftwerk der Kunstmühle um 1930.



Die Mühle selbst wurde bis 2004 zu einem Büro- und Gastronomiekomplex umgebaut. Das Kraftwerk wird derzeit von einem neuen Eigentümer weiterhin – neben seiner vorrangigen Nutzung der Energieerzeugung – vermietet, beispielsweise an den Kunstverein.

2008 wurden das Dach und die Fassaden des Kraftwerks mit großem Aufwand erneuert. Nachdem ein Restaurator festgestellt hatte, dass die Fenster ursprünglich in einem dunklen Blauton, die Fassaden in Beige und Ocker gestrichen waren, hielt man sich bei der Sanierung an die historischen Vorgaben. Damit gewann das Gebäude wieder seine einstige Ausdrucksstärke. Geprägt von einer schlichten Eleganz und zugleich aber einer technischen Nutzung dienend, gehört das Kraftwerk nicht zuletzt durch seinen prominenten Planer Theodor Fischer zu den markantesten Architekturschöpfungen des 20. Jahrhunderts in Rosenheim.

Mit freundlicher Genehmigung des OVB Oberbayerisches Volksblatt GmbH & Co. Medienhaus KG